Das Skateboardprojekt der 5b an der Klosterschule vom Hl. Grab in Baden-Baden

„Unsere Skateboards sind da!“, ruft es durch ein Klassenzimmer der Klosterschule. Als die lang ersehnten Rollbretter am ersten Freitag der Adventszeit in der Klassenlehrerstunde endlich ausgepackt werden, ist den 25 Schülerinnen und Schülern der 5b die Freude deutlich anzusehen. Nach den obligatorischen Fotos für die Schulhomepage ist die Stimmung gelöst. „Wann geht es endlich los? Wann fahren wir zusammen Skateboard?”, fragt irgendjemand aus der Klasse. „Das machen wir in der Klassenlehrerstunde vor den Weihnachtsferien,” teilen wir vom Teamklassenlehrerteam den Kindern mit. Leider wurde nichts aus unserem Vorhaben. Am 16.12.2020 verkündet die damalige Bildungsministerin Susanne Eisenmann die pandemiebedingte Schließung der Schulen für den Präsenzunterricht. Jedes Kind aus der „Skateboardklasse” durfte also erstmal allein auf das Brett springen…

Dass ein Skateboard in unserer 5b in der Phase des Übergangs von Grundschule zu Gymnasium, zwischen Präsenz-, Fern- und Wechselunterricht als Mutmacher, Motivator und Klassenmotto Gold wert war, hätten wir als Verantwortliche für dieses Projekt zu Beginn des Schuljahres 2020/21 in dieser Form nicht für möglich gehalten. Wie wir zu der Behauptung kommen, dass Skateboardfahren Kindern in ihrem ersten Jahr am Gymnasium wichtige Lebenslektionen lehren kann, würden wir hier gerne weiter erläutern.

Das Unterstufenkonzept an der Klosterschule ist eine Erfolgsgeschichte

Wie an vielen unserer Schwesterschulen der Schulstiftung gibt es auch an der Klosterschule vom Hl. Grab ein ausgereiftes Unterstufenkonzept. Wer sich für die 5. Klasse an der Klosterschule entscheidet, wird kommentarlos und direkt mit pädagogisch-konzeptionellen Angeboten an die neue Lernumgebung herangeführt. Der Begrüßungsgottesdienst, die Einführungswoche mit dem neuen Klassenlehrerteam, wöchentliche Klassenlehrerstunden und Teambuilding mit zwei Übernachtungen in der Jugendherberge Herrenwies gleich nach den Herbstferien tragen dazu bei, dass sich die Kinder schnell in ihrer neuen Klassengemeinschaft wiederfinden können.

Auch die Elternarbeit ist hier ein wichtiger Bestandteil. Gleich zu Beginn des Schuljahres organisieren die Eltern der letzten Fünftklässler, jetzt Sechstklässler, mithilfe des Unterstufenarbeitskreises ein Begrüßungsfest für alle Neuankömmlinge und deren Familien. Die Eltern bekommen hier auch zum ersten Mal das Klassenmotto des Schuljahres von den ebenfalls eingeladenen Teamlehrkräften vorgestellt. Die Klassenmottos werden von den Klassenlehrerteams in Vorbereitung auf das neue Schuljahr ausgewählt. Bereits im Begrüßungsschreiben, das die Kinder in den Sommerferien von den neuen Lehrkräften geschickt bekommen, kann man erahnen, welches Motto das Thema des neuen Schuljahres an der Klosterschule sein wird. Für Spannung und Vorfreude ist gesorgt: Das Klassenmotto wird von der neu zusammengetretenen Lerntruppe am ersten Unterrichtstag spielerisch entdeckt.

Das Unterstufenkonzept als Institution an der Klosterschule ist keineswegs vom Himmel gefallen. Unsere Kolleginnen Erika Speth und Gabi Jahns, die sich mittlerweile im wohlverdienten Ruhestand befinden, entwickelten die Fundamente des Konzepts bereits im Schuljahr 2005/06. Im Austausch mit den Klassenlehrerteams entstand im Lauf der Jahre eine gewachsene Struktur. Mit Stephanie Scheffer und Mareike Vollmer, den aktuellen Unterstufenberaterinnen, wurde im Sinne der „alten Garde” im Schuljahr 2018/19 ein Generationenwechsel eingeleitet. Das Unterstufenkonzept wird mit Herzblut, Engagement und Weitsicht ständig weiterentwickelt und gibt den Klassenlehrerteams den Spielraum, um auch eigene Ideen einbringen zu können. Tradition verpflichtet eben zu Innovation.

Skateboard fahren in Klassenstärke und einige theoretische Überlegungen

Ein gutes Klassenmotto zu finden, ist eine anspruchsvolle Angelegenheit. Das Motto sollte vielseitig einsetzbar sein, Freude vermitteln, Interesse wecken und im besten Fall einen roten Faden durchs Schuljahr ziehen, an dem sich die Klasse entlanghangeln kann. Das Motto sollte vom Klassenlehrerteam auch noch so verkörpert werden, dass es vor der Klasse nicht gekünstelt wirkt.

Das letzte Klassenmotto bei unserem ersten Versuch als Klassenlehrerteam lautete „Zoologischer Garten.” Die 5. Klasse im Schuljahr 2018/19 musste als Versuchskaninchen herhalten. Jedoch wurden keine unerprobten Experimente gewagt. Unsere pädagogische Überlegung zielte darauf, die rousseausche Grundidee von Freiheit und Verantwortung auf das Zusammenleben und Lernen in einer 5. Klasse zu übertragen. Freiheit funktioniert nur in Grenzen. Und diese müssen eingehalten werden, damit es in der Schule und später auch im Erwachsenenleben klappt. Jedes Kind – in unserem Fall Motto getreu „Klassentier”- sollte lernen, dass man trotz aller individuellen Unterschiede miteinander auszukommen hat. Obwohl wir vom Klassenlehrerteam weder Haustiere besitzen, noch vom Fach Biologie sind, schien das Motto der Klasse aufgrund der Anschaulichkeit zu gefallen. Auch der Besuch im Karlsruher Zoo zum Abschluss des Schuljahres kam gut an. Wir wussten also: So oder so ähnlich kann man das machen.

Für das neue Motto im Schuljahr 2020/21 stellte Corona eigene Regeln auf. Ausflüge und Übernachtungen durften nicht in gewohnter Form stattfinden, vieles im Hinblick auf das Unterrichtsgeschehen schien ungewiss und nicht im Voraus zu planen. Das neue Motto stellte philosophische Anforderungen: Wie plant man die Unplanbarkeit?

Eine mögliche Lösung: Ein Klassensatz Skateboards muss her! In der Coronazeit verbringen Kinder und Jugendliche zu viel Zeit vor dem Bildschirm. Also raus auf die Straße und rauf aufs Rollbrett – in Klassenstärke! Das klang zu Beginn erstmal nach einer klassischen Schnapsidee, aber: je mehr wir darüber nachdachten, desto besser wurde der Gedanke.

Um die Unplanbarkeit zu meistern, hielten wir folgende Überlegungen für maßgeblich:

  1. Skateboard fahren in der Gruppe motiviert. Die Kinder lernen das Skateboardfahren „am Modell”, indem sie sich das Fahren voneinander abschauen. Bei Misserfolg unterstützen und motivieren sie sich gegenseitig zum Weitermachen.
  2. Die Kinder lernen sich selbst und ihre Fähigkeiten besser einzuschätzen. Selbstwahrnehmung, Körperbeherrschung, Konzentrationsfähigkeit und Disziplin sind beim Fahren gefragt, sonst liegt man auf der Nase.

  1. Die Kinder lernen mit Misserfolgen umzugehen. Wer schon mal auf ein Skateboard gestiegen ist weiß zwangsläufig, dass Hinfallen und Scheitern zum Lernprozess dazugehören.

  1. Skateboard fahren ist eine Antwort auf das Smartphone. Wir erhofften uns mit der Anschaffung der Skateboards für unsere Klasse etwas Interessanteres zu bieten als “ „daddeln und chatten”.

  1. Skateboard fahren stärkt nicht nur zu Coronazeiten die Klassengemeinschaft. Man kann allein oder in der Gruppe fahren und fühlt sich dennoch als Teil der Community. Die Klassengemeinschaft ist eine Art „safe space“ zum Ausprobieren, in der man Unterstützung und Rückmeldung der Gemeinschaft erfährt, wenn man selbst einmal nicht weiterkommt oder scheitert.

  1. Alle Fähigkeiten, die man durch das Skateboardfahren erlernt, kann man auch auf das Lernen im Allgemeinen übertragen.

  1. Das Klassenlehrerteam geht mit Begeisterung voran!

Bei einem Spaziergang durch die Lichtentaler Allee – dem geschulten Rollbrettfahrer fällt sofort der gute Bodenbelag der Wege entlang der Oos auf – kam eine weitere Idee: Wie wäre es wohl, wenn man mit einer Horde Kinder hier mal auf Skateboards runterdonnern würde… Für Kinder und Jugendliche die beste Werbung für unsere Schule! Die Vorstellung machte irgendwie Spaß. Und wenn Lehrkräfte Freude bei der Arbeit haben, kann das nicht so schlecht sein.

Wer beim Thema Skateboard noch das schmuddelige Bild vom halbstarken Skatepunk aus den frühen 1990er-Jahren im Kopf hat, sollte sich im Sommer bei den Olympischen Spielen in Tokyo die Finals in den Disziplinen Park und Street genau anschauen. Skateboardfahren ist seit über 25 Jahren in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das Skateboard ist omnipräsent in Kunst und Kultur, Studienräte tragen Skateboard-Schuhe im Unterricht und im Jahr 2010 betrug der Umsatz der Skateboard Industrie bereits 7 Milliarden Dollar.2 Drei Generationen Superstars hat der Sport bisher hervorgebracht: Von Tony Hawk und Rodney Mullen aus den 1990er-Jahren über Ryan Sheckler, Leticia Bufoni und Nyjah Huston, aktueller Favorit auf olympisches Gold, zum 13-jährigen kalifornischen Instagram-Sternchen Sky Brown, die trotz ihres jungen Alters ebenfalls auf Olympiagold hoffen kann. Die aktuelle deutsche Meisterin Lilly Stoephasius ist mit ebenfalls 13 Jahren für Tokyo die jüngste deutsche Olympionikin. Den Kindern aus unserer Skateboardklasse mangelt es also nicht an positiven Vorbildern.

Helm auf, Brett her – Praxistest!

Bevor wir mit der Klasse loslegen konnten, musste Überzeugungsarbeit geleistet werden. Da unsere Schulleitung für die Aktion sehr offen war (Herr Dr. Vorbach sei Dank!), mussten beim ersten Elternabend im neuen Schuljahr die Eltern der Klasse überzeugt werden. Trotz einiger Bedenken sprach sich die Mehrheit für die Anschaffung der Skateboards aus. Da aus bekannten Gründen im Schuljahr keine Übernachtungskosten anfallen würden, bekam die Klasse für die Hälfte des üblichen Preises eine nachhaltige Anschaffung: Die lang ersehnten Skateboards. Das Klassenmotto wurde von der Theorie in die Praxis überführt. Nachdem wir „Grünes Licht” für die Skateboards bekommen hatten, konnte also am pädagogischen Feintuning gearbeitet werden.

Ab Wiederbeginn des Wechselunterrichts vor den Osterferien kamen die Skateboards wöchentlich zum Einsatz. Wir sind dabei …

… die Klassengemeinschaft zu stärken (Gemeinsam Skateboard fahren und sich verbessern)

…den Versuch zu unternehmen den Kindern Binnendifferenzierung praktisch zu zeigen (jede/r geht sein/ihr Tempo und kommt auf seine/ihre persönliche/ individuelle Art zum Ziel).

… an den persönlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu arbeiten – Stichwort „Frustrationsmanagement”. Hinfallen und wieder aufstehen gehören zum Leben mit dazu und sind sogar ein Ansporn, es beim nächsten Versuch besser zu machen.

… Freude an Bewegung auch nach der Schule zu vermitteln.

… einen Transfer auf andere Fächer zu herstellen (wer viel übt, übernimmt Verantwortung für sein/ihr Handeln und kommt zum Ziel).

Zudem erstellen die Schülerinnen und Schüler ein Videotagebuch (Vlog), um die Fortschritte beim Skateboardfahren festzuhalten. Auch in den Fächern Französisch, Mathe, Sport, Kunst, Medienbildung wurde und wird nach Absprache mit den Kolleginnen und Kollegen das Skateboard als eine Art fächerverbindendes Element eingesetzt.

Als Ziel am Ende des Schuljahres standen die Projekttage mit der Durchführung verschiedener „Skatetrips“ (zum Skatepark z.B. nach Iffezheim, in die Skatehalle Bühl oder zum ODP-Skatepark in Karlsruhe), um unsere Umgebung besser kennenzulernen. Der grobe Zeitplan war hierbei:

  • Januar – März: Kinder lernen die Grundlagen des Skatens,
  • März – Ende des Schuljahrs: Die Kinder werden mit „Challenges“ herausgefordert.
  • Erste Tricks üben, Fortschritte dokumentieren, fit werden für die Projekttage

Ob sich die Projekttage wie geplant umsetzen lassen, steht zur Stunde noch nicht fest. Das ist aber auch nicht schlimm. Skateboard fahren kann man überall. Vielleicht sogar in der Lichtentaler Allee.

Fazit und Dank

So können wir nach fast einem Schuljahr mit dem Klassenmotto „Skateboard” ein eindeutig positives Fazit ziehen. Gemeinsam mit der Klasse haben alle Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler viel dazugelernt. Da den Kindern in der Coronazeit der Schul- und Vereinssport sichtlich fehlt, konnten wir hier wichtige Impulse setzen und eine positive Grundstimmung in der Klassengemeinschaft herstellen. Die Kinder sind zusammengewachsen und treffen sich zum Großteil auch nach der Schule zum Skateboard fahren. Neben positiver Rückmeldung der Eltern hat die 5b auch in der Schule für Aufsehen gesorgt. Wenn die 5b auf das Skateboard steigt, wäre so mancher gerne mit dabei. Abschließend kann man nur staunend und demütig feststellen, dass in den schwierigen Zeiten der Pandemie das Skateboard unser Zeichen der Hoffnung geworden ist.

Zu verdanken hat die Klasse diesen erfreulichen Umstand vor allem der Unterstützung unserer Schulleitung, der Eltern, die dem Projekt nach dem Elternabend eine Chance gaben, sowie dem Entgegenkommen des Teams um Markus Stoy aus dem Skateshop Titus in Karlsruhe. Respekt! Fünfundzwanzig baugleiche Skateboards zu einem guten Preis bestellen, ist zu Zeiten von pandemiebedingten Lieferengpässen gar keine so einfache Aufgabe.

Liebe Dorothee, vielen Dank, dass Du in der Skateboardklasse mit so viel Begeisterung dabei bist. Du hast einfach „ok” gesagt und Dich auf das Skateboard gestellt! Von Herzen: Respekt, Du Rakete!